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Hochtouren um die Wiesbadener Hütte

19.08.2023 – 20.08.2023

27.08.2023

Heißes Wetter im Tal, angenehme Kühle im Hochgebirge versprach der Wetterbericht für unser Wochenende auf der Wiesbadener Hütte. Zu acht fuhren wir vom heimischen Niederbayern in die Silvretta um dort neben dem berühmten Piz Buin links liegen gelassene Berge zu besteigen. Am Anreisetag war die Dreiländerspitze geplant und am Sonntag das Silvrettahorn.

Wir fuhren Klimaschonend in Fahrgemeinschaften und trafen uns auf der Bieler Höhe, dem höchsten Punkt der Silvretta Hochalpenstraße und wanderten zu acht in knapp 2 Stunden die gut 8 Kilometer und 430 Höhenmeter hinauf zur Hütte. Dort entledigten wir uns der überflüssigen Ausrüstungsgegenstände und gingen, nachdem wir uns eine Erfrischung gönnten, den anfangs gut markierten Steig in Richtung Vermuntpass. Schon kurz nachdem wir von der Hütte aufgebrochen waren, konnten wir unser Ziel bereits erkennen. Wir drehten etwas nach Links und stiegen mehr oder weniger Weglos auf Moränenschutt Richtung Gletscherbeginn. Ein steiler, von unserer momentanen Stelle als ziemlich unbesteigbar aussehender Zahn erwartet uns. 

Durch den enormen Gletscherrückgang des Vermuntgletschers dauerte es eine gefühlte Ewigkeit, bis wir uns die Steigeisen am Gletscherbeginn anziehen konnten. Erschreckend, wie groß die Eisverluste seit meinem letzten Besuch hier waren. Auf dem völlig aperen Gletscher angekommen, rauschten Wassermassen links und rechts von uns gen Tal. Wir machten kurz Pause, zogen unsere Steigeisen an, nahmen den Pickel in die Hand und gingen Seilfrei Richtung Südwest, Richtung Obere Ochsenscharte. In einem großen Rechtsbogen ließen wir die Obere Ochsenscharte links liegen und stiegen weiter Richtung einer Geröllhalde unter dem Gipfelaufbau. War der Übergang vom Eis in die Felsen noch relativ passabel machbar, stellte sich der untere Bereich der Geröllhalde zu einer Rutschpartie heraus. Lockere Steine auf eisigem Untergrund sind keine gute Mischung. Wir suchten uns einen relativ guten Platz zum Ausziehen der Steigeisen und eierten in Richtung eines leicht ausgetretenen Pfads hinauf. Dort ging es schon wesentlich besser. Über einige Serpentinen gelangten wir schließlich von der Geröllhalde in besseren Fels. Hier ging es in leichter Kletterei bis UIAA I-II zum Vorgipfel hinauf. Hier war die Aussicht wie auch schon auf dem gesamten oberen Westgrat hervorragend. Wir konnten sogar die Bernina mit dem Piz Palü und den Piz Bernina mit dem Biancograt erkennen. Da wir allein im Gipfelbereich waren, nutzten wir die ungestörte Einsamkeit und bauten zum Wohlbefinden einiger Teilnehmer ein Geländerseil auf, um die teilweise sehr ausgesetzten, aber nicht schwierigen, gut griffigen Kletterstellen zu überwinden. Am Gipfel selbst war nur wenig Platz, so teilten wir uns in zwei vierer Gruppen auf, um den kleinen Gipfel zu erklimmen. Da ich das Geländerseil aufgebaut hatte, konnte ich ein kurze Zeit die Aussicht allein genießen. Die vorhin genannte Bernina, der Ortler und direkt neben mir der König der Silvretta, der Piz Buin waren nur die Höhepunkte, die man von diesem herrlichen Aussichtsgipfel aus sehen konnte. Wir machten kurz ein Foto und räumten dann anschließend dem Gipfel, um der zweiten Gruppe einen Gipfelgang zu ermöglichen. Zurück am Vorgipfel, hörten wir auch schon die nächsten Gipfelaspiranten ankommen. Wir vereinbarten, dass sie unser Geländerseil benutzen konnten, so konnten sie einiges an Zeit sparen. Wir hingegen zogen uns ein wenig unterhalb des Vorgipfel zurück, um die Aussicht zu genießen. Von unserer Position aus konnten wir auch schon große Teile unserer für morgen geplanten Tour auf das Silvrettahorn einsehen. 

Nachdem wir unser Seil abgezogen hatten, stiegen wir auf dem gleichen Weg zurück zu unseren Steigeisendepot ab. Hier begann wieder die Eierei. Endlich auf dem festen Gletschereis ging der Abstieg relativ schnell. Nahezu spaltenlos lag der klägliche Gletscherrest unter uns. Mit einem nachdenklichem Gefühl gingen wir zurück in Richtung Wiesbadener Hütte, wo uns das freundliche Personal mit Erfrischungen versorgte. Die Vorfreude auf die morgige Tour stieg Minute für Minute. Ein entspannter und geselliger Hüttenabend folgte. 

Nach unserem gestrigen erfolgreichen Tag auf der Dreiländerspitze hatte ich mir für heute das Silvrettahorn ausgesucht. Von der Schwierigkeit her ähnlich aufgebaut wie die Dreiländerspitze, unten Gletscher, die Mitte brüchig und oben guter und fester Fels im zweiten Schwierigkeitsgrad. Ich freute mich auf diese Tour, weil wir oben zusätzlich noch die Möglichkeit hatten, das Silvrettahorn zu überschreiten und weiter zur Schneeglocke zu gehen. Um kurz nach halb 7 starteten wir von unserem Stützpunkt, der Wiesbadener Hütte über einen gut angelegten Steig der uns unter den Felsen der Grünen Kuppe entlangführte. Auch beim Ochsentaler Gletscher ist es augenscheinlich, dass der Klimawandel ein immer schneller werdendes Abtauen unserer ehemals ewigen Eisströme anfeuert. Leider hinterlässt das schwindende Eis meistens brüchigen Fels und Schotter, der mühsam gangbar gemacht werden muss. Genauso ist es hier beim mittlerweile sehr anspruchsvollen Zustieg hinauf zum Ochsentaler Gletscher. Jedes Jahr muss der Steig auf der orografisch linken Seite neu angelegt werden. 

Nach einer etwas anspruchsvollen Wegsuche, wo nur wenige Markierungspunkte und Steinmänner angebracht waren, erreichten wir als dritte Seilschaft den unteren Teil des blanken Gletschers. Blau schimmerte das Eis in der Morgensonne. Dank der glücklichen Fügung, dass wir bei der letzten Pause bereits unsere Gletscherausrüstung am Mann hatten, konnten wir, nachdem wir die Steigeisen angezogen hatten, gleich starten und vor den ganzen Piz Buin Aspiranten losziehen. 

Wir gingen wie gestern auch heute wieder Seilfrei über den Gletscher. Spalten und Löcher waren ganz klar zusehen und da dadurch die Absturzgefahr größer als die Spaltensturzgefahr war konnten wir das bedenkenlos so machen. Wir steuerten erst dem Piz Buin Normalzustiegsweg auf der rechten Seite des Gletschers nach oben. Nach etwa 500 Meter drehten wir nach rechts in Richtung Silvrettahorn beziehungsweise Egghornlücke ein. Hier war stellenwiese noch eine dünne Restfirnauflage auf dem Blankeis die wir gut umgehen konnten. Auch die Schneegefüllten Spaltenbrücken hielten noch bedenkenlos. Rasch kamen wir höher in den Nährbereich des Gletschers. Und siehe da, hier war noch ein wenig schützende Schneedecke auf dem Eis. Wir entschieden uns, auf einer guten, stabilen Spur bis in die Egghornlücke aufzusteigen. Dort entledigten wir uns unserer Steigeisen und suchten uns einen gangbaren Weg durch den Schotter der Südwestflanke. Teilweise böses Schottergelände, meist aber doch gut zu gehen. Mann musste echt aufpassen, was man anfasste und wo man seine Tritte hinsetzte. Am oberen Südgrat angekommen, verbesserte sich die Felsqualität erheblich. Bombenfester und griffiger Fels führte uns über die letzten Meter ansprechend und teilweise recht ausgesetzt bis zum höchsten Punkt. Diesmal brauchten wir dank einer guten Psyche aller Teilnehmer keine Seilsicherung. Freudig klatschten wir uns ab und beglückwünschten uns zu unserem zweiten Gipfel an diesem Wochenende. 

Da wir den Gipfel für uns allein hatten, machten wir ausgiebige Brotzeit. Die Aussicht war wie gestern schon wunderschön. Der massive Felsklotz, der Große Piz Buin stand wie auf dem Präsentierteller vor uns. Die Menschenschlange, die auf dem Weg zum Piz Buin war, erinnerte mich an die Zustände an einem besonders hohem Berg im nepalesischen Himalaya. Wir konnten quasi das gesamte Tourengebiet der Wiesbadener Hütte überblicken.Gewaltig! Aber spätestens hier mussten wir uns über unseren weiteren Weg klar werden. Wollen wir die Überschreitung zur Schneeglocke machen und einen Abstieg via Rotfluhlücke und Klostertaler Gletscher wagen oder gehen wir den etwas einfacheren, aber längeren Weg zurück zur Egghornlücke und via Silvretta Gletscher und Rote Furka ins Klostertal. Per Mehrheitsentscheidung fiel das Votum auf Variante 2. 

Nachdem sich eh schon die nächste Klettergruppe ankündigte, machten wir noch schnell ein Gruppenfoto und stiegen anschließend dem Aufstiegsweg folgend zur Egghornlücke ab. Dort checkten wir nochmal unseren beschlossenen Abstieg in der Karte und stiegen dann einen unschön zu gehenden Steig zum Silvretta Gletscher ab. 

Endlich am Gletscher angekommen, montierten wir unsere Steigeisen und schlenderten den aperen, flachen und spaltenarmen Eisstrom seilfrei Richtung Silvretta Hütte talauswärts. Wir hielten uns aber orografisch an der rechten Gletscherseite, weil wir unten, am Gletscherende den Aufstieg zur Roten Furka nicht verpassen wollten. Schnell erreichten wir das Ende des Gletschers. Auf den letzten Metern suchten wir das felsige und schottrige Gelände nach Trittspuren, Markierungen und Wege ab aber erst kurz vor dem Ende der Seitenmoräne erkannten wir einen Steinmann etwas weiter oben. Auf diesen steuerten wir zu und konnten recht bald darauf den markanten Einstiegsfelsen zur Roten Furka erkennen. Der Steig dreht recht scharf nach rechts ein, ist steil angelegt, aber doch gut zu gehen. Schnell waren die letzten Höhenmeter des Tages geschafft und wir konnten die Aussicht von der Roten Furka genießen. Was für ein Ausblick. Gewaltig! Andächtig blieben wir stehen und saugten die Stimmung um den größten Gletscher der Silvretta in uns ein.

Nur schwer konnten wir uns losreißen. Auf dem sehr gut markierten Abstiegsweg ins Klostertal verloren wir rasch an Höhe. Unzählige Mal querten und durchquerten wir die Wassermassen die von den umliegenden Gletscher abflossen. Was für ein natürliches und ursprüngliches Tal. Wild mäanderten die Abflüsse, vereinigten sich und teilten sich wieder. Überall war es sumpfig, es brummte und summte. Je weiter man nach unten kam, desto grüner wurde es. Waren es oben nur vereinzelt Pionierpflanzen waren es auf Höhe der Klostertaler Umwelthütte schon richtige Matten und blühende Almwiesen. Ein Bilderbuchtal!

Von der Klostertaler Umwelthütte konnten wir unser Ziel, den Silvretta Stausee bereits erkennen. Aber wie wir später dann leidvoll erfahren sollten, zog sich der Weg noch. Irgendwann war dann auch unsere Reise zu Ende und so konnten wir am Ufer des Stausees zurück zum Parkplatz schlendern. Glücklich über zwei wunderbare Tourentage und zwei herausragende Gipfelziele beschlossen wir am Seerestaurant mit Weißbier und Kuchen unseren Ausflug in die Silvretta.

Fazit: An beiden Tage fanden wir abwechslungsreiche Touren die schon gewisse Grundfertigkeiten in Eis und Fels verlangen. Eine Grundfertigkeit ist besonders gefragt. Das Bewegen im haltlosen Fels und absturzbereiten Schotter wird bei alpinen Hochtouren immer mehr zu Kernkompetenz. Beide Gipfel sind schöne Aussichtsgipfel, aber auch über weite Teile recht bröselige Unternehmungen. Steinschlag und abrutschender Schotter sind die größten Gefahren. Die heutige Besteigung aber auch schon gestern an der Dreiländerspitze konnten wir einen ersten Eindruck erlangen, wie sich das Bergsteigen in den nächsten Jahren weiter zum negativen verändern wird. In Permafrost freien Bereichen drohen massive Felsstürze, apere und unsichere Eiswege verlangen erhöhte Aufmerksamkeit. Bergsteigen wird definitiv gefährlicher.