An der Weggabelung zur Augsburgerhütte entschlossen wir uns spontan, ohne Zwischenstopp, auf der Hütte gleich die Parseierspitze anzugehen. Über eine doch gut zu steigende Geröll- und Schutthalde, die den größten Teil der Gasillkars ausfüllte, kamen wir schnell zum Einstieg. Denn schon zwei Stunden nach Aufbruch im Tal standen wir am Einstieg in die Ferner Wand. Hier zogen wir Helm und Gurt an, und stiegen in die steile, teilweise versicherte und gut markierte Wand ein. Als wir die obere Kante der Wand erreicht hatten, lag ein Todeis vor uns.
Der Überrest des Grinner Ferner lag Schuttbedeckt unterhalb der Parseierspitze Südwand in einem kleinen Becken. Wir querten auf Schutt auf einem schwach erkennbaren Steig unterhalb in die Südwand und erreichten das, die ersten Meter hinaufführende Einstiegs-Stahlseil. Steil führte dieses Stahlseil etwa 30 Meter über glatte Gletscherschliffplatten hinauf, ehe wir ein Felsband erreichten, dass den ursprünglichen Einstieg der Südwand markierte. Hier sammelten wir uns und stiegen gemeinsam weiter. Über einfaches Klettergelände im ersten und zweiten Schwierigkeitsgrad und steiles Gehgelände stiegen wir auf. Durch viel loses Material mussten wir sehr vorsichtig steigen, um in den Rinnen und auf den Bändern möglichst keinen Steinschlag für möglich nachkommende Bergsteiger auszulösen.
An der Schlüsselstelle, einer trittarmen, abdrängenden Platte im oberen zweiten Grad, probierten wir ein wenig rum, bevor wir uns dann doch für den direkten Weg entschieden. Jetzt war der Weg nach oben, zum Gipfel frei. Über Genusskletterei im gut griffigen Fels erreichten wir nach gut 4,5 Stunden den aussichtsreichen Gipfel, den höchsten der gesamten nördlichen Kalkalpen. Was für eine Aussicht von diesem 3000er!
Nur schwer konnten wir uns von der Aussicht trennen, aber wir mussten diese Südwand auch wieder abklettern, so machten wir uns auf den Weg. Vorsichtig, wie auf rohen Eiern kletterten wir den Aufstiegsweg hinunter. Immer wieder hörte man „Vorsicht Stein“ Rufe, wo man sich instinktiv an die Wand lehnte und den Kopf einzog. Kurz vor dem Ausstieg war es dann so weit. Ein von oben ausgelöster Steinschlag, traf einen unter uns Kletternden am Fuß. Dieser konnte dann, nach einem ersten Schock, doch noch eigenständig abklettern.
Wir schauten, dass wir aus dieser Südwand kamen und querten rasch das Schuttfeld zu einem sicheren Platz, wo wir uns wieder sammelten. Nach einer kleinen Trinkpause, entschieden wir uns, dass wir noch nicht genug hatten und auf dem Gatschkopf steigen wollten. Dieser bot sich als Überschreitungsalternative und Rückweg zum bereits bekannten Aufstiegsweg an.
Gesagt, getan. Wir stiegen in steilen Serpentinen den Weg zur Patrolscharte hinauf, wo wir nach rechts eindrehten und den unschwierigen Steig zum Gatschkopf nahmen. Über einen breiten Gratrücken erreichten wir den vierthöchsten Lechtaler Gipfel. Von hier aus konnten wir auch gut die von uns gekletterte Südwand einsehen.
Nach einer kurzen Gipfelschau nahmen wir den markierten Abstiegsweg zur Augsburger Hütte, der anfangs recht steil in Serpentinen über feinen Schotter und später in einen ungut zu gehenden Steig überging. Schnell war die Hütte in Sicht, aber der Weg zog sich. Wir konnten das Erfrischungsgetränk förmlich riechen.
Als wir endlich auf der Hüttenterrasse waren, wurden wir mit einem Begrüßungsenzian begrüßt. Genau das braucht ein nach Flüssigkeit schreiender, dehydrierter Körper in einer solchen Situation. Wir nahmen dankbar an und starteten damit eine Kette, die wir so nicht geplant hatten. Ein feucht fröhlicher Abend auf einer Urgemütlichen Hütte folgte. Das freundliche und zuvorkommende Hüttenpersonal tat sein Übriges dazu bei.
Nach einem feuchtfröhlichen Hüttenabend starteten wir morgens als erste von der Hütte. Wir kannten ja den Aufstieg in das Gasillkar und zur Fernerwand schon vom gestrigen Aufstieg zur Parseierspitze so ging das heute ohne Probleme.
An der Fernerwand angekommen setzten wir wieder unseren Helm auf, zogen unseren Gurt an und stiegen in den ersten Abschnitt unserer Überschreitung zur Ansbacher Hütte ein. Am oberen Ende der Fernerwand angekommen orientierten wir uns Richtung Westen und peilten die Scharte links der Bocksgartenköpfe an. Meist weglos, ab und zu mit farblichen Punkten markiert blieben wir auf dem leicht angedeuteten buckeligen Rücken südlich des Grinner Ferners. Trittspuren führten uns in Richtung eines riesigen roten Punktes mitten in der vor uns liegenden Wand. Auf diesen steuerten wir auf Wegspuren hin. Oben angekommen breitete sich unser weiterer Weg vor uns aus. Wir waren uns einig, dass wir noch einiges vor uns haben.
Erst mal stiegen wir vom Bocksgarten in eine Eintiefung ab und weiter Richtung Darwinkopf. In anregender Kletterei im oberen ersten, unteren zweiten Grad des Ostgrats erreichen wir den höchsten Punkt des heutigen Tages. Eine Aussicht der Sonderklasse erwartete uns. Wir machten kurz Brotzeit und wären fast, um ein Haar falsch abgestiegen. Gerade rechtzeitig fanden wir den richtigen Abstiegsweg vom Darwinkopf, der sich ungut und ziemlich rutschig feucht erst westlich dann nördlich in engen Kehren hinab zog. Mit Hilfe einiger Drahtseilversicherungen war dies jedoch kein großes Problem für uns.
Die folgenden Querungen unterhalb des Schwarzkopfs waren mit Vorsicht zu genießen, denn auf den geneigten Platten lag viel Gebrösel. Im stetigen Auf und Ab kletterten wir meistens direkt oder links an der Gratkante. An der Darwinscharte angekommen, wäre nach links hinab ein beschriebener Notabstieg, der aber bei genaueren Betrachtungen eher eine Geisterbahn ist als ein Notabstieg. Vor uns lagen jetzt die unangenehmen nördlichen Querungen unterhalb der gelben Scharte und der Eisenspitze. Hier musste wirklich auf einer Zeitspanne von etwa 45 Minuten jeder Tritt sitzen. Erst auf der Parseier Scharte, wo wir uns auch das Roland Ritter Biwak kurz anschauten kann man wieder ein wenig durchatmen. Der anschließende südliche Abstieg von der Parseier Scharte ist einfach und lässt uns auch mal kurz ein wenig Zeit zum Landschaft genießen während des Gehens.
Bei den folgenden südlichen Querungen des Griesmuttekopfs, des Schwarzlochs und des Stierlochkopfes muss aber wieder jeder Tritt sitzen. Auch wir reduzierten unseren Gesprächsfluss und konzentrierten uns auf das Gelände. Die Wegabschnitte rund um das „grüne Brünnle“ waren schlicht und einfach auf weiten Teilen nicht mehr vorhanden. Diese wurden bestimmt von einem der letzten Regenfälle komplett in die Tiefe gespült. Das machte uns doch einiges an Schwierigkeiten, denn das lose Geröll verselbstständigte sich bei jeder Berührung und drohte uns mit in die Tiefe zu nehmen. Irgendwie meisterten wir die besagten Stellen und waren sichtlich froh die Wiesen beim „Unteren Grießl“ erreicht zu haben.
Jetzt lag nur noch der finale 150 Höhenmeter Aufstieg zum Mitterjöchl vor uns. Langsam merkten wir die Belastungen und das hohe Tempo der letzten beiden Tage in unseren Beinen. Auf dem steilen und schottrigen Steig mussten wir ein, zweimal kurz pausieren, aber erreichten das aussichtsreiche Jöchl schließlich doch noch ohne Probleme. Von dort ging es über einen schönen Steig einen Hang querend zur Kopfscharte und weiter über eine Schafweide idyllisch zur Ansbacher Hütte hinüber. Wir freuten uns, als wir auf der Ansbacher Hütte waren, dass wir diesen „Höhenweg“ in gut 6,5 Stunden gemeistert hatten und stießen auf ein gewaltiges Erlebnis an. Der anschließende Abstieg nach Schnann und die folgende 60 Euro Taxifahrt zurück nach Grins war dann nur noch fürs Protokoll.
Jupp Berglehner